Autorinnen und Autoren freut es besonders, wenn ihre Werke dem Publikum adäquat präsentiert werden. Und “adäquat”, das meint aus Sicht jedes Menschen, der zur Feder greift, den stationären Buchhandel. Alles andere ist für die Befriedigung der persönlichen Eitelkeit nur zweite Wahl – zum Beispiel Online Shops. Die Nachbarn, der Metzger und Tante Erna müssen in der Lage sein, das Buch „live und in Farbe“ bei ihrem Streifzug im Buchladen zu entdecken. Das gilt natürlich noch viel mehr für den intellektuellen Rollkragen-Besserwisser von schräg gegenüber, der morgens im Saab-Cabrio davonfährt. Beeindruckt sollen sie sein – und zwar gehörig!

Nun gibt es da ein klitzekleines Problem. Leider sind wir nur höchst selten zusammen mit unseren Nachbarn, unserem Metzger oder Tante Erna im Buchladen unterwegs. Der beeindruckte und ehrfürchtige Gesichtsausdruck, wenn das Buch – DAS BUCH – auf einmal so mir nichts dir nichts auf einem Büchertisch herumliegt, bleibt uns also verwehrt. Und der Saab-Rollkragen käme ohnehin nicht auf die Idee, mit uns Belletristikautoren, die er für weichgespülte Unterhaltungsschmierer hält, freiwillig eine Buchhandlung aufzusuchen.

Der schreibende Mensch hat allerdings für diesen Fall eine Ersatzstrategie entwickelt, um sich das erwünschte Hochgefühl zu verschaffen. Wenn die eben genannten Damen und Herren partout nicht zur Verfügung stehen, dann machen wir das eben alleine. Und stellen uns vor dem geistigen Auge vor, wie das wäre wenn … Nachbar… Metzger… Erna… Rollkragen… DAS Buch. Als kreative Menschen sind unserer Phantasie in dieser Beziehung keine Grenzen gesetzt.

Und so findet man uns Autoren gerne suchenden Blickes in Buchgeschäften. Wir suchen spannende und inspirierende Lektüre, aber vor allem suchen wir ES. Wo ist ES? Warum ist ES nicht hier? Ganz hinten im Kopf meldet sich diese Frage sofort beim Betreten eines Buchgeschäfts. Okay, nicht bei Menschen wie Stephen King.

Alle Nicht-Kings haben bald gemerkt, dass es drei Grundzustände gibt.

Erstens: ES ist nicht da. Skandal. Was ist aus dem deutschen (hier ist je nach Lebensmittelpunkt des Autors natürlich die betreffende Nationalität einzufügen) Buchhandel nur geworden? Daraufhin tun wir – nichts. Denn den Buchhändler anzusprechen wäre peinlich und vollkommen aussichtslos. Also ärgern wir uns still und nehmen uns vor, in diesem schlecht sortierten Geschäft nicht mehr einzukaufen. Dieser Vorsatz wird in den meisten Fällen allerdings nicht eingehalten.

Zweitens: Das Buch steht mit einem (!) Exemplar im Regal. Das ist doch schon was. Aber jetzt mal im Ernst – guckt Tante Erna wirklich ins Regal? Kaum. Nie. Buchrücken gucken ist Höchststrafe.  Man sinniert über das eigene Unglück, nicht mit einem Familiennamen mit hohem A-Faktor, also zum Beispiel AAAbraham oder so, gesegnet zu sein. Dann stünde man immerhin an einigermaßen prominenter Stelle vorne im Regal. Was tun? Ganz klar: Das Buch verstohlen aus dem Regal ziehen und es auf einen der Buchtische im Laden legen, am besten direkt neben Stephen King. Dabei möglichst unbeobachtet bleiben und das Geschäft anschließend schnell verlassen.

Drittens: Das größtmögliche Glück überhaupt: die Lage auf dem Buchtisch. Falls man nicht schriftstellernder Besitzer einer Buchhandlung ist und die Positionierung des eigenen Werkes selber bestimmen kann, ist die Lage auf dem Buchtisch das Höchste der Autorengefühle. Das ist in etwa so wie doppelt Gold bei Olympia. Das kommt vor, aber eben nicht sehr häufig. Das Buchtischerlebnis ist natürlich umso intensiver, je größer und frequentierter die jeweilige Buchhandlung ist.

Buchtische sind die Orte der Glückseligkeit oder der tiefen Enttäuschung bei Autoren.  Auf diesen Altären türmen sich – prominent im Laden präsentiert – die Werke jener international renommierten Autoren, die vom Buchhändler einer besonderen Vermarktung für wert befunden werden. An den Tischen verweilen fast alle Kunden, das eine oder andere Buch in die Hand nehmend, vielleicht sogar darin blätternd – um schließlich zu kaufen. Sucht man kommerziellen Erfolg als Autor, führt kein Weg an den Buchtischen vorbei.

Kunden von Buchhandlungen sollten also davon ausgehen, dass ein erheblicher Teil der Menschen, die mit ihnen gemeinsam an den Buchtischen stehen, in Wirklichkeit suchende, verzückte oder enttäuschte Schriftstellerinnen und Schriftsteller sind, die gerade an Tante Erna und den Kerl mit dem Rollkragenpulli denken.

Bleibt noch die Frage: Was tun als Autor, wenn man ES wirklich und wahrhaftig dort antrifft? Keine Frage. Ein Foto machen. So wie neulich bei Hugendubel in Frankfurt. Und das Bild vom Südtirol-Krimi “Commissario Pavarotti trifft keinen Ton” auf dem Buchtisch gibt es hier.